Sonntag, 21. Februar 2010
Denken anregende Freunde mit Midlifecrisis
Es ist in kurzem Abstand bereits der zweite Freund, der mich anrief und während des Telefonats in Tränen ausbrach. "Ich sitze den ganzen Tag in der Bude und starre die Wand an. Wirklich! Den ganzen Tag starre ich auf diese weiße Wand!", und schnauft in ein Taschentuch.

Die Situation erinnert mich an ein Telefonat Mitte Dezember. Auch hier rief mich ein Bekannter aus alten Zeiten an und teilte mir mit, er würde wieder trinken und wisse nicht mehr weiter, das Leben hätte doch keinen Sinn mehr. Das scheint sich zu häufen in letzer Zeit.

Jeder Mensch sollte fortwährend an sich arbeiten. Die Probleme wandeln sich. Probleme hat jeder immer, sind keine da, werden schnell welche gefunden.

Die Menschen, die mich anriefen, haben aber nicht nur gewöhnliche Probleme, sie sind in einer Lebenskrise. Stabil wirkende Personen fallen plötzlich in ein tiefes Loch, aus dem sie nicht mehr ohne fremde Hilfe herauszukommen scheinen. Diese Lebenskrise trifft diese Menschen oft nach dem 40. Lebensjahr. Ein Alter, welches einen Mittelpunkt darstellt. Man bewegt sich mit großen Schritten auf etwas zu, was allgemein als "alt" bewertet wird. Ist erst das Fünfzigste erreicht fehlt nicht mehr viel zum Sechszigsten. Begriffe wie Rente, Opa, Oma, und auch Tod machen Angst. Wo steht der Mensch, was hat er, was nicht. Wenn in diesem Moment bewußt wird, arbeitslos und alleinstehend zu sein, kann schnell Panik entstehen.

"Ich kenne mich damit aus, ich habe nicht Biologie als Studienfach gewählt. Das ist Neurophysiologie...", während er mich mit Synapsen und Neurotransmittern vollredet, versuche ich zu verstehen, warum er die Ursachen im Physischen und nicht in der Psyche sucht. "Irgendwas ist bei mir durcheinander geraten, nicht mehr in Ordnung, da muss man notfalls mit Medikamenten eingreifen... nein, die Gedanken sind doch auch nur ein Resultat der physischen Vorgänge!", erwidert er auf meinen Einwand, er könne mit seinem Denken die neurophysiologischen Vorgänge ins Positive beeinflussen.

"Es ist im Grunde wie eine Erkältung, der Körper ist krank." Sicher hat er damit Recht, die Vorgänge im Gehirn sind auf jeden Fall durcheinander gekommen. Dergleichen kann jedoch auch mit negativen Gedanken verursacht werden, wie es inzwischen sogar Allgemeinwissen ist. Depressionen durch negative Gedanken. Doch lehnt er das ab, da für ihn die Gedanken, wie auch die gesamte Psyche, nichts weiter als "ein Ergebnis der physischen Vorgänge und der Genetik ist und setzen letztere mit dem Tod aus, ist auch nix mehr mit Psyche. Auch keine Seele, nichts mehr!"

Als Beispiel beschreibe ich, wie es den Yanomami-Indianern in Südamerika ergeht. Ein Naturvolk, das Depressionen kaum kennt, plötzlich, aus dem Wald getrieben, dazu genötigt, arbeiten zu gehen. Doch Arbeit ist rar. Depressionen setzen ein und es wird zu Alkohol gegriffen. Die Situation der Indianer wird im Song "Don't give up" von Peter Gabriel / Kate Bush grob beschrieben. Wenn Depressionen also auf Genetik, auf physiologische Vorgänge beruht, wie erklärt er sich, dass diese Idios krank werden, frage ich ihn. Die Umgebung, die äußeren Einflüsse, wie auch das Denken, die innere Einstellung, haben hier zu einer Veränderung der inneren Vorgänge geführt, nicht umgekehrt. Es ist ein Wechselspiel zwischen physiologischen und psychischen Vorgängen, verbleibe ich auf meiner Ansicht. "Die Indios haben diese Gene sicher schon in sich gehabt.", antwortet er.

Insgesamt kommen wir nicht wirklich weiter und scheinen aneinander vorbei zu reden. Seine Aussagen regten mich auf jeden Fall an, darüber nachzudenken. Seine Ansicht, die Gedanken, die gesamte Psyche, sei nur Resultat der Physiologie, sind nicht von der Hand zu weisen. Wie sollten die Geanken dann die Physiologie beeinflussen können, gleichsam der Frage um die Vorexistenz von Ei und Huhn. Ist es nicht so, dass es automatisierte wie auch vom Individuum beinflussbare Vorgänge gibt. Die eine Schiene mag die automatisierte Physiologie sein, die andere Schiene die Psychologie, die zwar aus ersterer hervorgeht, jedoch Rückkopplung auf diese ausübt.

Es freut mich, dass ihm das Telefonat gut tat. Wie er selber sagt, bereits das darüber Sprechen, jemanden zu haben, der zuhört, ist schon hilfreich. Ich danke ihm für das interessante Thema, das wir im Gespräch gefunden haben.

Ich versuche, eine Versinnbildlichung zu finden. Das Beispiel des Getriebes im fahrenden Fahrzeuges trifft es nicht. Das Getriebe hat zwar Einfluss auf das Fahren, geht aber nicht aus diesem hervor. Hmm, schwierig. Aktuell fehlt mir aber die Motivation, darüber nachzudenken.

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